lundi 29 septembre 2014

Wie sehen wir Afrika? 
(Erschienen in Weltweit 29 [2014], 26-29).

Afrikaner im Westen brauchen nicht lange, um es festzustellen: Das Afrikabild im Westen ist das eines Katastrophenkontinents. Vor allem die Medien verbreiten schreckliche Stereotype: Der Alltag der Afrikaner scheint nur von Bürgerkriegen, Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen, Hungersnöten, Wassermangel, Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria, Analphabetismus, Kriminalität und Armut bestimmt zu sein. Geschätzt wird der Kontinent bestenfalls für die Lebensfreude seiner Menschen und für seine paradiesische Natur. Dies wiederum ist ein allzu idealisiertes und exotisches Afrikabild. Bil­der und Filmaufnahmen sind nicht neutral, sondern verraten sehr viel über die bewusste oder unbewusste Wahrnehmung ihres Autors.

Gute Nachrichten fehlen
Von den positiven politischen, wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften, die es in Afri­ka gibt, von hoffnungsvollen Zeichen, etwa die Zivilcourage und das Sozialengagement vieler entschlossener Jugendlicher, kommt kaum etwas in der medialen Öffentlichkeit des Westens vor. Das Thema Afrika wird als ein schlimmer Sonderfall behandelt, dem dann Aufmerk­samkeit geschenkt wird, wenn es schlechte Nachrichten gibt.

Klischees für mehr Mitleid
Nicht selten sind auch internationale Hilfsorganisationen in diesem klischeehaften Afrikabild gefangen. Bewusst oder unbewusst machen sie Gebrauch vom Katastrophenbild des afrikanischen Kontinents, um Spenden für ihre Projekte zu sammeln. Dabei wird Mitleid erzeugt, um an die Großzügigkeit der Menschen zu appellieren. Hilfswerk-Plakate, auf denen abgemagerte und dreckige – gelegentlich lächelnde – schwarze oder ausländisch aussehende Kinder bzw. bedürftige Menschen in einem widerlichen Armutszustand gezeigt werden, sind keine Seltenheit in westeuropäischen Städten. Vergleicht man diese Hilfswerk-Plakate mit denen, die für heimische Spendenaktionen in europäischen Ländern verwendet werden, so stellt man den Unterschied fest: Ungern stellt man die eigenen Landsleute in einem schlechten Licht dar. Die Grenzen zwischen Klischees und dem ernsthaften Willen zu helfen sind allerdings fließend: eine objektive Darstellung der Notlage, die es tatsächlich zu lindern gilt, kommt häufig mit dem Gebrauch von stereotypen Klischees zustande.

Afrika als eine Priorität
Nun ist es allen bewusst, dass es sich gehört, dieses letztendlich beleidigende Afrikabild zu bekämpfen. Es gibt kaum eine säkulare oder religiöse Einrichtung, die sich nicht für eine korrekte und realitätsgerechte Darstellung der ärmeren Länder und Kontinente aussprechen würde. Dies nahm sich beispielsweise der Jesuitenorden in seinen beiden letzten Gene­ralversammlungen ausdrücklich als Aufgabe vor und erklärte Afrika zu einer der Prioritäten des Ordens. So kritisierte die 34. Generalversammlung im Jahr 1995 die exzessive mediale Dominanz und Selbstbezogenheit der westlichen Länder und forderte die gesamte Gesellschaft Jesu auf, „alles ihr Mögliche zu tun, um internationale Einstellungen und Ver­haltensweisen Afrika gegenüber zu verändern“ (34. GK, Dekret 3, Nr. 12). Die 35. Generalversammlung im Jahr 2008 fügte hinzu: „Im Wissen um die kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern von Afrika und Madagaskar, aber im Bewusstsein um die großen Möglichkeiten, Herausforderungen und die Vielfalt jesuitischer Dienste bestätigen wir die Aufgabe der Gesellschaft, eine ganzheitli­chere und menschlichere Visi­on für diesen Erdteil zu bieten.“ (35. GK, Dekret 3, Nr. 39)

Das kollektive Bewusstsein
Was mögen wohl die Ursachen für das unkorrekte und ungerechte Afrikabild sein? Mangelnde Kenntnis über Afrika und fehlendes Interesse an diesem Kontinent sind sicher nicht zu unterschätzen, wie Afrikaner im Alltag unter der normalen Bevölkerung in Europa gelegentlich feststellen können. Aber von entscheidender Bedeutung scheinen Gründe zu sein, die im kollektiven Bewusstsein des Westens beheimatet sind. Das heutige Afrikabild im Westen steht unvermeidlich im Zusammenhang mit dem des 19. Jahrhunderts. Damals herrschten Kolonialisierungsideologien, die Afrika und Afrikaner lediglich als Mittel betrachteten, um das Verlangen des Westens nach Exotik, nach Wissenschaft, nach Wirt­schaftsaufschwung und nach der Beherrschung der Welt zu stillen. Diese Ideologien förderten zugleich Überlegenheitsgefühle, die sich in der „zivilisatorischen Mission“ des Westens ausdrückten, zu der leider auch Missionare unkritisch beitrugen. Man ging davon aus, dass Afrikaner primitive und kulturlose Menschen seien, die dankbar sein müssten, von den Hoch­kulturen des Westens und vom Christentum profitieren zu dürfen, selbst unter demütigenden Umständen. Diese und andere von Rassismus und Diskriminierung geprägten Denk- und Verhaltensweisen haben auch bei Afrikanern dramatische Folgen hinterlassen, nicht zuletzt Minderwertigkeitsgefühle. Auch wenn sich diese Situation längst geändert hat, so sind doch noch Restspuren der Überlegenheitsgefühle im westlichen kollektiven Bewusstsein zu finden, zumal die wirtschaftliche – und in mancher Hinsicht auch die politische – Abhängigkeit afri­kanischer Länder gegenüber dem Westen auch heute noch gleichberechtigte Beziehungen auf Augenhöhe verhindert.

Privatsphäre und Notlage
Wie können Hilfsorganisationen auch in der Spendenwerbung dazu beitragen, ein korrektes und gerechtes Afrikabild zu vermitteln? Eine konkrete Antwort steht eigentlich den Insidern zu, die die Richtlinien ihrer Hilfsorganisation entwerfen und den Kontext ihrer Arbeit besser kennen. Die Befolgung von ethischen Kodizes und internationalen Gesetzen ist sicher von großer Hilfe. Hierzu eignet sich beispielsweise Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der einen rechtlichen Schutz der Privatsphäre und des Rufes darstellt. Dieses und andere Gesetze verhindern schon mal, dass Nachrichten, Fotos oder Filmaufnahmen in den Medien technisch manipuliert werden, also die Realität zu einem unausgesprochenen Zweck verfälschen. Die Wirklichkeit zeigt jedoch, dass Menschen, die sich in einer großen Notlage befinden, in die Veröffentlichung von persönlichen Daten und Bildern, die ihnen später unangenehm oder schädlich sein können, oft einwilligen und manchmal sogar fordern, selbst wenn sie ihre Rechte kennen. Die Vorgehensweise mancher korrupter Regierungen, nämlich die Notlage ihres Volkes systematisch zu verschleiern, um den Schein zu wahren, ist natürlich ebenso wenig eine Lösung.

Die Würde schützen
Bei aller Komplexität, die ein konkreter Kontext mit sich bringt, kann die Beachtung der guten alten goldenen Regel helfen: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Eine philosophisch ausformulierte Version lässt sich bei Immanuel Kant finden: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Das Wohlwollen und Engagement für Mitmenschen, insbesondere für Bedürftige, sind nicht nur Kernbestände des christlichen Gebots der Nächstenliebe, sondern fundamentale Prinzipien der Menschlichkeit, da sie die Würde des Menschen schützen und befördern. Erkennen die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, insbesondere die Berichterstatter, Fotografen und Medienbeauftragten die Grenzen, über die hinaus sie selber nicht dargestellt werden möchten, so werden sie auch die Grenzen erkennen, die beim Afrikabild im Westen überschritten werden. Das Entscheidende ist die Weise der Darstellung, die Rücksicht auf die Würde der Betroffenen nimmt.
Achille Bundangandu SJ / Rodrigue Naortangar SJ

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