(Erschienen in Weltweit 29 [2014], 26-29).
Afrikaner im Westen brauchen nicht
lange, um es festzustellen: Das Afrikabild im Westen ist das eines Katastrophenkontinents.
Vor allem die Medien verbreiten schreckliche Stereotype: Der Alltag der
Afrikaner scheint nur von Bürgerkriegen, Korruption,
Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen, Hungersnöten, Wassermangel,
Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria, Analphabetismus, Kriminalität und Armut
bestimmt zu sein. Geschätzt wird der Kontinent bestenfalls für die Lebensfreude
seiner Menschen und für seine paradiesische Natur. Dies wiederum ist ein allzu
idealisiertes und exotisches Afrikabild. Bilder und Filmaufnahmen sind nicht
neutral, sondern verraten sehr viel über die bewusste oder unbewusste
Wahrnehmung ihres Autors.
Gute Nachrichten fehlen
Von den positiven politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften, die es in Afrika gibt, von
hoffnungsvollen Zeichen, etwa die Zivilcourage und das Sozialengagement vieler
entschlossener Jugendlicher, kommt kaum etwas in der medialen Öffentlichkeit
des Westens vor. Das Thema Afrika wird als ein schlimmer Sonderfall behandelt,
dem dann Aufmerksamkeit geschenkt wird, wenn es schlechte Nachrichten gibt.
Klischees für mehr Mitleid
Nicht selten sind auch internationale
Hilfsorganisationen in diesem klischeehaften Afrikabild gefangen. Bewusst oder
unbewusst machen sie Gebrauch vom Katastrophenbild des afrikanischen
Kontinents, um Spenden für ihre Projekte zu sammeln. Dabei wird Mitleid
erzeugt, um an die Großzügigkeit der Menschen zu appellieren.
Hilfswerk-Plakate, auf denen abgemagerte und dreckige – gelegentlich lächelnde
– schwarze oder ausländisch aussehende Kinder bzw. bedürftige Menschen in einem
widerlichen Armutszustand gezeigt werden, sind keine Seltenheit in
westeuropäischen Städten. Vergleicht man diese Hilfswerk-Plakate mit denen, die
für heimische Spendenaktionen in europäischen Ländern verwendet werden, so
stellt man den Unterschied fest: Ungern stellt man die eigenen Landsleute in
einem schlechten Licht dar. Die Grenzen zwischen Klischees und dem ernsthaften
Willen zu helfen sind allerdings fließend: eine objektive Darstellung der
Notlage, die es tatsächlich zu lindern gilt, kommt häufig mit dem Gebrauch von
stereotypen Klischees zustande.
Afrika als eine Priorität
Nun ist es allen bewusst, dass es
sich gehört, dieses letztendlich beleidigende Afrikabild zu bekämpfen. Es gibt
kaum eine säkulare oder religiöse Einrichtung, die sich nicht für eine korrekte
und realitätsgerechte Darstellung der ärmeren Länder und Kontinente aussprechen
würde. Dies nahm sich beispielsweise der Jesuitenorden in seinen beiden letzten
Generalversammlungen ausdrücklich als Aufgabe vor und erklärte Afrika zu einer
der Prioritäten des Ordens. So kritisierte die 34. Generalversammlung im Jahr
1995 die exzessive mediale Dominanz und Selbstbezogenheit der westlichen Länder
und forderte die gesamte Gesellschaft Jesu auf, „alles ihr Mögliche zu tun, um
internationale Einstellungen und Verhaltensweisen Afrika gegenüber zu
verändern“ (34. GK, Dekret 3, Nr. 12). Die 35. Generalversammlung im Jahr 2008
fügte hinzu: „Im Wissen um die kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern von Afrika und Madagaskar, aber
im Bewusstsein um die großen Möglichkeiten, Herausforderungen und die Vielfalt
jesuitischer Dienste bestätigen wir die Aufgabe der Gesellschaft, eine
ganzheitlichere und menschlichere Vision für diesen Erdteil zu bieten.“ (35.
GK, Dekret 3, Nr. 39)
Das kollektive Bewusstsein
Was mögen wohl die Ursachen für das
unkorrekte und ungerechte Afrikabild sein? Mangelnde Kenntnis über Afrika und
fehlendes Interesse an diesem Kontinent sind sicher nicht zu unterschätzen, wie
Afrikaner im Alltag unter der normalen Bevölkerung in Europa gelegentlich
feststellen können. Aber von entscheidender Bedeutung scheinen Gründe zu sein,
die im kollektiven Bewusstsein des Westens beheimatet sind. Das heutige
Afrikabild im Westen steht unvermeidlich im Zusammenhang mit dem des 19. Jahrhunderts.
Damals herrschten Kolonialisierungsideologien, die Afrika und Afrikaner lediglich
als Mittel betrachteten, um das Verlangen des Westens nach Exotik, nach
Wissenschaft, nach Wirtschaftsaufschwung und nach der Beherrschung der Welt zu
stillen. Diese Ideologien förderten zugleich Überlegenheitsgefühle, die sich in
der „zivilisatorischen Mission“ des Westens ausdrückten, zu der leider auch
Missionare unkritisch beitrugen. Man ging davon aus, dass Afrikaner primitive
und kulturlose Menschen seien, die dankbar sein müssten, von den Hochkulturen
des Westens und vom Christentum profitieren zu dürfen, selbst unter demütigenden
Umständen. Diese und andere von Rassismus und Diskriminierung geprägten Denk-
und Verhaltensweisen haben auch bei Afrikanern dramatische Folgen hinterlassen,
nicht zuletzt Minderwertigkeitsgefühle. Auch wenn sich diese Situation längst
geändert hat, so sind doch noch Restspuren der Überlegenheitsgefühle im
westlichen kollektiven Bewusstsein zu finden, zumal die wirtschaftliche – und
in mancher Hinsicht auch die politische – Abhängigkeit afrikanischer Länder
gegenüber dem Westen auch heute noch gleichberechtigte Beziehungen auf
Augenhöhe verhindert.
Privatsphäre und Notlage
Wie können Hilfsorganisationen auch
in der Spendenwerbung dazu beitragen, ein korrektes und gerechtes Afrikabild zu
vermitteln? Eine konkrete Antwort steht eigentlich den Insidern zu, die die
Richtlinien ihrer Hilfsorganisation entwerfen und den Kontext ihrer Arbeit
besser kennen. Die Befolgung von ethischen Kodizes und internationalen Gesetzen
ist sicher von großer Hilfe. Hierzu eignet sich beispielsweise Artikel 12 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der einen rechtlichen Schutz der
Privatsphäre und des Rufes darstellt. Dieses und andere Gesetze verhindern
schon mal, dass Nachrichten, Fotos oder Filmaufnahmen in den Medien technisch
manipuliert werden, also die Realität zu einem unausgesprochenen Zweck verfälschen.
Die Wirklichkeit zeigt jedoch, dass Menschen, die sich in einer großen Notlage
befinden, in die Veröffentlichung von persönlichen Daten und Bildern, die ihnen
später unangenehm oder schädlich sein können, oft einwilligen und manchmal
sogar fordern, selbst wenn sie ihre Rechte kennen. Die Vorgehensweise mancher
korrupter Regierungen, nämlich die Notlage ihres Volkes systematisch zu
verschleiern, um den Schein zu wahren, ist natürlich ebenso wenig eine Lösung.
Die Würde schützen
Bei aller Komplexität, die ein
konkreter Kontext mit sich bringt, kann die Beachtung der guten alten goldenen
Regel helfen: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
Eine philosophisch ausformulierte Version lässt sich bei Immanuel Kant finden: „Handle
so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines
jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Das Wohlwollen und Engagement für Mitmenschen, insbesondere für Bedürftige,
sind nicht nur Kernbestände des christlichen Gebots der Nächstenliebe, sondern
fundamentale Prinzipien der Menschlichkeit, da sie die Würde des Menschen
schützen und befördern. Erkennen die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, insbesondere
die Berichterstatter, Fotografen und Medienbeauftragten die Grenzen, über die
hinaus sie selber nicht dargestellt werden möchten, so werden sie auch die
Grenzen erkennen, die beim Afrikabild im Westen überschritten werden. Das
Entscheidende ist die Weise der Darstellung, die Rücksicht auf die Würde der Betroffenen
nimmt.
Achille
Bundangandu SJ / Rodrigue Naortangar SJ
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